Wenn Beziehungen einfrieren


von Otto Neubauer am

Oder warum uns Weihnachten 2021 verwandeln kann.

Mittlerweile gibt es Checklisten, wie wir die Weihnachtstage überleben, falls wir in unseren Familien und Freundeskreisen nicht mehr miteinander reden können. Wir haben in der aktuellen Corona-Krise tatsächlich so einiges im Programm: von erneut aufschwappenden Empörungswellen und Demonstrationen bis hin zur gänzlichen Gesprächsverweigerung oder dem Rückzug in den Kleinstkreis Gleichgesinnter. Nicht nur in der Natur friert es, auch unsere Beziehungen scheinen zuweilen einzufrieren. Während die einen händeringend den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschwören, haben sich anderswo bereits Einstellungen und Haltungen über Segen und Fluch von Corona-Impfungen heillos verfestigt. Daneben kann nun unsere Einladung zu täglich 10 Minuten stillem Innehalten reichlich naiv anmuten.

Unglaubliche Kraft an Innerlichkeit

Selbst der große Sehnsuchtsraum rund um die heurige Stille und Heilige Nacht kann angesichts so vieler Krisenmomente als allzu lieblich süß daherkommen. Wie soll denn jetzt der Blick auf Krippe und Baby helfen?! Just in diesem Nachdenken der gegenwärtigen Tage fällt mir die Lebensgeschichte eines überaus wertgeschätzten Freundes, eines nunmehr 70-jährigen südsteirischen Bauern, in die Hände. Frisch gedruckt in Buchform. Ich lese hinein und bin gleich wie gebannt von der unglaublichen Kraft an Innerlichkeit. So viele Schicksalsschläge und Krisen in nur einem Menschenleben und mindestens ebenso viele erstaunliche wundersame Wandlungen. Als ich schließlich Genaueres von seinem tragischen Bergunglück erfahre, bei dem neben vier anderen auch mein Schulfreund Hermann vor gut drei Jahrzenten ums Leben kam, musste ich lange innehalten. Kaum zu glauben: die Verlobte vom Buchautor Hans, Rosi, ist damals in seinen Armen langsam erfroren: Und Hans hat dann – selbst durch eigene Erfrierungen zutiefst geschwächt – das bekannte Lied von Dietrich Bonhoeffer in tiefem Vertrauen gesungen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag…“

Stilles Verweilen vor der Krippe

Warum ich euch solch eine eisige Erzählung zu Weihnachten zumute? Weil Stille und Weihnachten keine naive Flucht vor dem Untragbarem sind. Auch nicht vor den gegenwärtigen Krisen. Und weil uns Weihnachten mit dem schutzlos ausgesetzten Kind in der Futterkrippe eines Stalls etwas schenken kann, was letztlich nur das Herz sehen kann. So wie Hans wie durch ein Wunder wieder Wärme und Kraft zukamen, und er die Tragödie überlebte, so kann auch unser Vertrauen in die Geborgenheit „guter Mächte“ unsagbaren Halt geben und das Herz zuinnerst erwärmen. Aber es braucht so dringend ein Innehalten, ein Stillwerden, damit das Herz hören und verstehen kann. Deswegen wage ich es, jede und jeden ganz herzlich einzuladen, wirklich vor einer Krippe länger still zu verweilen: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar“, so die erste Strophe des Bonhoeffer-Lieds.

Hier dürfen alle kommen, ausnahmslos

Auch unseren lieben nichtchristlichen Weggefährten darf ich diese Art des weihnachtlichen Verweilens anvertrauen. Vor dieses Kind in der Krippe dürfen in der Tat alle kommen. Ausnahmslos alle. Arme und Reiche. Und gleich welchen Glaubens, und gleich mit welcher Not und Begrenzung. Vom Blick des Christkinds wird niemand be- oder verurteilt. Genau hier dürfen wir uns ganz und gar angenommen wissen. Daraus schöpfen wir die Kraft, dass auch wir uns bemühen, alle anderen Menschen anzunehmen – ausnahmslos. Das wird unser Weihnachten und unsere Umgebung verwandeln!

Wir sind wirklich sehr bewegt von so vielen, die sich mittlerweile auf solch ein stilles Innehalten eingelassen haben! Danke von Herzen!
So darf ich im Namen des Teams ganz herzlich gute stille Zeiten, frohe Weihnachten und ein gesegnetes Jahr 2022 wünschen!

Otto Neubauer

Leiter der Akademie für Dialog und Evangelisation
Pädagoge & Theologe, Buchautor

otto.neubauer@akademie-wien.at

Bildquellen

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