#myself – Ich poste mir die Welt, wie sie mir gefällt


von Stephanie Kappaurer am

von Leon Lembert, Student im TALK-Team

Liebes i-Ich!

Ich sage es gleich aus dem Bauch heraus. Du nervst mich!

Nicht immer, selbstredend, aber derzeit nervst du mich und ich glaube nicht, dass du mir hilfst. Deine Konturlosigkeit gepaart mit fehlendem Rückgrat ist mir ein Dorn im Auge und ich ertrage deine Anwesenheit kaum noch. So gut gelaunt bist du auf deinen Fotos und so interessiert.

Du bist bei viel zu vielen Konzerten und Veranstaltungen dabei oder hast auf „interessiert“ geklickt… das kotzt mich an.

Was willst du beweisen? Wie viel du unterwegs bist? Wie gefragt du bist?

„Interessiert,“ dass ich nicht lache. Feigheit ist das. Ja, ich nenne es beim Namen. Falsche Höflichkeit um niemanden zu verletzen damit du nicht auf „Absage“ oder „Ignorieren“ klicken musst. 

Ein Offenhalten der Optionen, denn vielleicht kommt ja noch eine bessere Veranstaltung, an der du lieber teilnehmen möchtest und die dann als Grund für eine Absage herhalten muss. „Sorry, bin bereits auf einer anderen Geburtstagsfeier.“ „Ich bin da leider nicht in der Stadt.“ Widerlich, erbärmlich um genau zu sein. 

Aber du bist ja nicht genau. Nein, du nicht.

Hinter einem Schleier aus Sarkasmus versteckst du deine Postings und genau wirst du nur in der Offenlegung deines Standorts, sofern es dir zuträglich erscheint. “…ist gerade im Gym,” “… ist gerade im MQ,” “ist gerade im Kolosseum.”

Zwei Fotos postest du auf Instagram vom Training, dabei sind die Fotos von letzter Woche. Das weiß ich, ja. Schließlich habe ich sie für dich geschossen. Vom McDonalds postest du nichts, oder? Passt nicht ins Bild.

Feig bist du.

Du traust dich nichts zu teilen was dir wichtig ist, nicht mal für eine Petition die du unterschrieben hast machst du dich stark, dabei wäre es nur ein Klick. Du gibst erst dann deinen politischen Standpunkt preis, wenn in deiner Chronik drei oder mehr deiner “Freunde” bereits etwas zu diesem Thema gesagt haben. Aus Angst anzuecken schweigst du lieber.

Deine likes sind die einzige Form des Protests oder Zustimmung zu der du imstande bist.

Das reicht mir nicht. Ich will mehr.

Warum habe ich das Gefühl, dass ich mich mit dir beschäftigen muss? Ich verbringe meine Freizeit mit deinem Styling, wieso? Um zu enden wie die? Warum bin ich im analogen Leben laut und du so leise? Sind wir nicht gleich, du und ich?

 

Liebes Ich!

Ich sage es gleich aus dem Bauch heraus. Du brauchst mich. Hör auf zu jammern und akzeptiere es.

Selbstmitleid steht niemandem und es ist auch kein Ausdruck von Protest.

Ich weiß, es wirkt ja so ungemein reflektiert in illustrer Runde über Social Media herzuziehen, bei einem Glas Wein im Podium oder Siebenstern oder wohin es euch Hipster sonst so verschlägt.

Mach ruhig. Zieh darüber her, aber beim Heimweg schaust du ja doch wieder auf mich während du auf die U-Bahn wartest.

Du interagierst mit den Fotos Fremder auf Instagram um Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, um mich zu füttern. Ich soll wachsen, das willst du doch, denn ich bin dein Dopamin-Dealer. 

Ja, du verbringst Zeit mit meinem Styling. Während du noch ungeduscht auf der Couch hängst und es nicht schaffst dein Spiegelbild ansehnlich zu gestalten, liebkost du mich. Du verpasst mir Filter, Hashtags und schneidest mich zu bis ich perfekt bin. Perfekt spontan. Ein “Schnappschuss” der tagelanges arbeiten hinter sich hat.

Ja, ich bin interessiert an vielen Veranstaltungen, nehme an ihnen teil obgleich du gerade in der Arbeit oder in der Uni bist. Ich lasse dich gut aussehen, bin der der du gerne sein würdest.

Das “i” steht nicht für Internet, sondern für Ideal. Dein ideales (sozial) Ich. Glaub mir, Freud wäre ungemein stolz auf dich. Ich gebe dir die Möglichkeit zu mir zu werden und das willst du. Deine Freizeit mag wegfallen, das stimmt, doch ich gebe dir die Chance auf Anerkennung, auf Ruhm und sobald du eine zündende Idee haben solltest, auf Reichtum.

Was ich hier schaffe ist Kapital, und aus diesem sozialen Kapital wirst du schöpfen können wenn du es richtig machst.

Konturlos bin ich? Dann gib mir mehr Konturen. Deine Paranoia vor Datenklau hindert mich daran zu wachsen. Du willst doch gar nicht, dass ich Rückgrat besitze, Meinungen äußere und “wichtige” Sachen poste, denn ich bin flexibel besser. Ich kann überall teilhaben, habe eine größere Reichweite und somit mehr Kapital.

Und du willst dieses Kapital! Ich gebe dir hier einen Blick auf Potential, auf Hoffnung, auf Ruhm, und die Hoffnung stirbt bekanntlich wann? Richtig. 

    Stephanie Kappaurer

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    • #myself i-ich: Bildrechte beim Autor
    • Kappaurer_Foto: Stephanie Kappaurer
    • #myself TALK digitales Ich: Bildrechte beim Autor

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