Sehnsucht nach Nähe


von Otto Neubauer am

Warum eine Akademie für Dialog und Evangelisation mit Menschen aller Weltanschauungen?

Eine spirituelle Begründung.

Nicht wenige verwundert, dass wir als Akademie mit einer explizit christlichen Missionsagenda aufs Engste mit Menschen zusammenarbeiten, die sich selbst als atheistisch oder agnostisch bezeichnen, muslimisch oder andersgläubig sind. In der Tat, wir sind als Leitungsteam einfach persönlich vom christlichen Glauben so ergriffen und fasziniert, dass wir ihn auch in Freude mit anderen teilen. Er ist Herzstück unseres Lebens und Basis unserer Arbeit. Dabei sind uns der Dialog, die Freundschaft und die intensive Zusammenarbeit in all den großen gesellschaftlichen Fragen mit weltanschaulich Andersdenkenden in den letzten Jahren zu einem außerordentlichen Geschenk geworden. Nicht zuletzt sind uns viele der WeggefährtInnen richtig ans Herz gewachsen.

Gefährlicher Relativismus?

Die einen fragen sich, ob das nicht zu einem gefährlichen Relativismus und zu einem Identitätsverlust des genuin Christlichen in einer ohnehin schon so verwirrten Zeit führe. Andere wieder, ob bei aller Toleranz nicht eine versteckte Agenda dahinterstecke.Wie geht das Ganze nun zusammen? Oder kommt da nicht etwas zu kurz?

 

1. Die Identitätsfrage hat’s tatsächlich in sich

Beginnen wir gleich mit ganz Substanziellem und das direkt aus dem Binnenkatholischen: Ohne den Versuch einer Vereinnahmung brachte es Papst Benedikt XVI. ein Jahr vor seinem Rücktritt noch bei einem Angelusgebet (8. Jän. 2012) klar auf den Punkt: es geht schlicht darum „das zu werden, was wir sind!“ Jeder Mensch, ausnahmslos, sei von Gott gewollt und geliebt. Vor Gott seien wir als seine Geschöpfe alle seine Kinder, wenn auch die Annahme dieses Geschenkes unsererseits erst – in aller Freiheit – im Laufe des Lebens passiere. Dieses bewusste Ja-Sagen dazu sei dann wohl so stark, dass es immer wie eine „Neugeburt“ sei.

Ich vergesse dich nicht.

Ob und wie intensiv wir diese Wandlung nun tatsächlich annehmen – in jedem Fall bleibt die Nähe von Gott für immer und für jeden gegenwärtig, in jeder Sekunde. Die mütterliche Version dazu liefert uns das biblische Buch Jesaja: „Kann denn eine Mutter ihr Kindlein vergessen?“ Und selbst wenn sie es täte, „Ich vergesse dich nicht!“ lässt der Prophet Gott sagen. Und genau an dieses Wunder glauben und darauf vertrauen wir: Kein Mensch dieser Erde ist von dieser väterlichen bzw. mütterlichen Gegenwart Gottes ausgenommen!

Somit sind wir nicht nur seins-mäßig aufs Engste ‚geschwisterlich‘ mit allen verbunden, sondern auch von ein und demselben gütigen Blick getroffen – nicht zuletzt in all unserer Zerbrechlichkeit und Armseligkeit. So wundert es nicht, dass beispielsweise einer unserer Dialogpartner aus dem Kulturbereich, der schon früh aus der Kirche  ausgetreten ist, sich von der Antwort von Papst Franziskus auf die Frage nach seiner Identität zutiefst angesprochen fühlte: „Ich bin ein Sünder und ich bin geliebt.“

2. Wenn wir uns umeinander kümmern

Gerade unsere Sorge füreinander unabhängig der Weltanschauung ist Mitte christlicher Mission. Das sei sogar die „Stunde der Wahrheit“, so Papst Franziskus in seiner letzten Enzyklika Fratelli Tutti mit Blick auf den ‚Barmherzigen Samariter‘: „Es gibt einfach zwei Arten von Menschen: jene, die sich des Leidenden annehmen, und jene, die um ihn einen weiten Bogen herum machen.“ Christinnen und Christen müssten verstehen, dass die wahre Anbetung Gottes immer „zu einer Öffnung des Herzens gegenüber den Mitmenschen“ führen müsse. Aber das heiße auch, dass „diejenigen, die sich für ungläubig halten, den Willen Gottes manchmal besser erfüllen als die Glaubenden.“

Ringen um Wahres

Nach christlichem Verständnis ist ja alles, was gut, wahrhaft und edel ist, vom Geist Gottes geschenkt, auch wenn es von einem Atheisten kommen sollte. In jedem Fall können wir weit weniger ängstlich und vielmehr großherzig im Gut-Sein voneinander lernen und uns gegenseitig in all dem Ringen um Wahres bereichern. Genauso wie wir auch gemeinsam alles Zerstörerische, Gemeine und Böse wahrnehmen und entschieden zurückweisen.

3. Dann wird der Name zum Programm: „Emmanuel“

Unser Background ist eine internationale katholische Gemeinschaft, die den Namen „Emmanuel“ trägt und übersetzt „Gott mit uns“ bedeutet. Es geht um eine besondere Nähe, die alles verändern kann. Es geht um ein „Mit-Sein“, das allen Menschen gilt, nicht nur einer exklusiven Gruppe. Wir möchten also zeigen, dass Gott jedem Menschen nahe ist – unentgeltlich, for free. Womit wir das begründen? Weil der eigentliche Schatz der „Emmanuel“ selbst ist, der für Jesus Christus steht. Für uns ist er Gott selbst. Und er sagt JA zu jedem Menschen. Das ist die Essenz der ganzen christlichen Offenbarung. Diesen Schatz können und wollen wir nicht geizig zurückhalten und in unseren Binnen-Kreisen gleichsam vergraben.

Verschwenderisch

Gerade von Jesus wissen wir, dass er ein besonderes Mitgefühl, eine „Compassio“, und eine gute Nachricht für alle und besonders für die Bedürftigen hatte. Dabei wissen wir uns ja selbst sehr bedürftig, so wie unzählige andere auch – quer durch alle Gesellschaftsschichten, hungrig nach Liebe und Wahrheit. Und dass es tatsächlich eine rettende und nährende Hoffnung für uns und diese Gesellschaft gibt, möchten wir dialoghaft einbringen, d. h. so konkret und nahe wie möglich, geradezu familiär gemeinschaftlich und gastfreundlich. All das wird möglich durch den Geist Gottes, der verschwenderische Liebe ist, und weht, wo und wann er will.

Ein Paradox

Wenn denn das große Paradox stimmt, dass „das Persönlichste das Universalste, das Intimste das Gemeinsamste ist“ (Henri J. M. Nouwen), dann ist dieses gegenseitige Teilhaben-Lassen alles andere als relativierend oder profil-schwächend. Es  erfordert vielmehr unseren ganzen Einsatz. Denn nur der, so Papst Franziskus, „der es auf sich nimmt, auf andere Menschen in ihrer Bewegung zuzugehen, nicht um sie zu vereinnahmen, sondern um ihnen zu helfen, mehr sie selbst zu werden,“ könne wahrlich familiär nahe sein.

Danke!

Einmal mehr danken wir von ganzem Herzen ALLEN mit den unterschiedlichsten weltanschaulichen Prägungen, die sich so großherzig auf diesen herausfordernden wie beglückenden Weg eingelassen haben!

Otto Neubauer

Leiter der Akademie für Dialog und Evangelisation
Pädagoge & Theologe, Buchautor

otto.neubauer@akademie-wien.at

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