Über die Gratwanderung der Empathie


von Jenny Knabl am

Ein Charakterzug, der grundsätzlich positiv konnotiert ist. Die Fähigkeit, sich auf andere Leute einzulassen, Emotionen zu verstehen und nachempfinden zu können: das ist Empathie. An diesem Bild rütteln jedoch kritische Stimmen, die der Empathie negative Effekte wie empathischen Stress, der bis zu Burn-Outs führen kann, zuschreiben. Personen in Berufsgruppen, die sich besonders stark mit dem Leid anderer auseinandersetzen, sollten mehr Mitgefühl praktizieren und weniger Empathie. Ein Text über die schmale Grenze zwischen Vor- und Nachteil der Empathie.

Empathie – Mitgefühl

Die Begriffe Empathie und Mitgefühl werden im Alltag gerne in einem Atemzug genannt und positiv aufgefasst. Die Psychologie unterscheidet jedoch sehr genau zwischen diesen Formen. Bei der Empathie handelt es sich um die Fähigkeit, sich in die andere Person hineinzufühlen, Gefühle und Verstimmungen im Gegenüber wahrzunehmen, sie aufzunehmen und die Gedanken des Betroffenen zu teilen. Durch die Aufnahme der Emotionen werden sie gespiegelt, sodass in Gehirnscans erkennbar ist, dass dieselben Areale, die bei persönlich empfundenem Schmerz ausgelöst werden, aktiviert sind. Es ist somit visuell nachvollziehbar, dass man im wahrsten Sinne des Wortes mitfühlt. Jedoch hört die Empathie genau hier auf und kann sich dadurch gefährlich auswirken. Verharrt man in den negativen Emotionen kann sich eine Form der Hilflosigkeit einstellen, eine Aussichtslosigkeit, die es unmöglich macht, den Zustand wieder zu verlassen. Eine Art Lähmung, ein Burn-Out für einen kurzen Moment. Dies lässt sich dadurch erklären, dass bei einer zu hohen Empfindsamkeit die Grenzen zwischen dem Leid der anderen und dem eigenen verschwimmen und sich die Belastung somit stark auf einen selbst auswirkt.
Besser wäre es, nach aktiven Problemlösungen zu suchen und gemeinsam mit der betroffenen Person – wenn möglich –an einer Änderung der Umstände zu arbeiten. Mitgefühl tritt einen Aktivismus los, welcher dazu führt, dass durch das Verbessern der Situation einerseits die Sorge erleichtert wird und andererseits durch das Lösen des Problems ein gewisses Erfolgserlebnis eintritt. Man distanziert sich zudem durch die aktive Arbeit ein wenig. Nach erfolgreich getaner Arbeit stellt sich ein Gefühl der Belohnung ein, welches dazu verleitet, auch in Zukunft seinen Mitmenschen durch Mitgefühl helfen zu wollen. Mitgefühl hinterlässt somit sowohl Betroffene als auch Helfende in einem besseren Gemütszustand.

Wie sieht es mit den negativen Auswirkungen aus?

Berichten der Arbeiterkammer zu folge, leiden Menschen, die im personenbezogenen Dienstleistungssektor tätig sind, häufig unter psychischen Arbeitsbelastungen. Besonders jene, die in ihrem Berufsalltag oft mit dem Leid anderer konfrontiert sind, können sich durch empathischen Stress, der bis zu einem Burn-Out führen kann, beeinträchtigt sehen. Berufstätige in Gesundheits- und Pflegeberufen haben immer öfter mit psychischen Problemen und emotionaler Erschöpfung zu kämpfen.

co. Hania Kartusch

Was hier helfen kann ist einerseits der Austausch mit Kollegen und andererseits Supervision in Anspruch zu nehmen, empfehlenswert wäre dies einmal im Quartal. Laut Peter Hoffmann, AOW-Psychologe (Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologe) wird dieses Angebot jedoch viel zu selten genutzt. Wie eine Befragung durch Hoffmann ergab, nahmen nur 30% der Mitarbeiter in einem Krankenhaus die angebotene und empfohlene Supervision in Anspruch. Supervision und Coaching, Begriffe, die in einer Zeit der Optimierung immer öfter fallen. Sie sollen zur angestrebten Gesundheitsförderung im (Berufs-)Alltag beitragen. „Gesundheitsförderung ist der falsche Begriff“, sagt Hoffmann. Vielmehr sollte es sich um gesundheitsstabilisierende Maßnahmen handeln, die im besten Falle auch persönlichkeitsbildend sind.

Was passiert, wenn man aufgrund von zu hoher Empathie nicht mehr die Kraft hat, sich seinen eigenen Herausforderungen zu stellen, hat auch Sophie, 24, erfahren. Zu einer besonders schwierigen Zeit, der Vater ihrer besten Freundin war vor kurzem verstorben, hat sich ihr gesamter Fokus auf das Leid ihrer Freundin verschoben. Das Wissen, im Zustand der Empathie festgefahren zu sein, da man aktiv nichts tun kann, was den Verlust aufwiegen würde, hat sie förmlich aufgefressen. Eigene Sorgen und Probleme wurden beiseite geschoben, da es – für sie offensichtlich – wichtigere Dinge gab. Dass man Probleme jedoch nicht vergleichen darf, erschloss sich ihr erst später. Natürlich handelte es sich um eine fürchterlich schmerzhafte Situation, die ihrer Freundin gerade widerfahren war, jedoch waren ihre eigenen Probleme dadurch nicht unwichtiger oder gar non-präsent geworden. Was passiert, wenn man den Fokus komplett von sich weglenkt und versucht, seine gesamte Kraft einer Person weiterzugeben, jedoch selbst keine neue Kraft aufbauen kann, hat sich erst in Retrospektive herausgestellt.

Es braucht ein Ende der Stigmatisierung

Die Auffassung von psychischen Problemen und Krankheiten als Schwäche ist immer noch aufrecht, jedoch seien laut Hoffmann Unterschiede zwischen den Generationen zu erkennen. Gerade innerhalb der Generation Y wird Toleranz und Offenheit geübt. Außerhalb dieser Personengruppe mangle es jedoch an Bewusstsein dafür, dass die Seele ebenso wie der Körper, Schmerzen erleiden kann und diese geheilt werden müssen. Bricht man sich das Bein, so überlegt man nicht lange, ob man ein Krankenhaus aufsucht. Bei Schmerzen in der Seele müsste dieselbe Reaktion erfolgen. Diese Form der Selbstverständlichkeit muss innerhalb der Gesellschaft erarbeitet werden. Da es sich bei der Seele aber um etwas handelt, das nicht greifbar ist, übt sie auf manche Personen eine Form der Beängstigung aus. Hoffmann formuliert das so: „Die Psyche ist gefährlich, weil sie nicht steuerbar ist.“ Dieser Umstand erschwert es, in einer Zeit, die auf Perfektion und Optimierung ausgelegt ist, zu seinen Schwächen zu stehen.

Unsere Gesellschaft steht vor dem Widerspruch, dass es an Verständnis und Empathie mangelt, sich ein zu hohes Maß derselben jedoch negativ auswirken kann.

Um es mit Herrn Hoffmanns Worten zu sagen: Die „Gratwanderung der Empathie“.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Medien-Lehrgangs 2019 als journalistische Praxis-Arbeit. Thema und Inhalt dieses Beitrags wurden durch die Autorin selbstständig gewählt und recherchiert.

    Jenny Knabl

    Studentin der Kommunikationswissenschaft & Wirtschaftspsychologie.
    Zu finden im Kaffeehaus.
    Feedback und Kritik gern gesehen: jenny.knabl@gmx.at

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