oder: Weshalb sich der Brexit wie ein kompletter Irrtum anfühlt
Am 23. Juni 2016 stimmte Großbritannien über seinen Verbleib in der Europäischen Union ab. Am 24. Juni 2016 war es dann klar: Eine relativ knappe Mehrheit der britischen Bevölkerung hatte sich für den Brexit entschieden. Ihr Austritt aus der Europäischen Union sollte also nun step-by-step in die Wege geleitet werden. Am selben Tag passierte noch ein anderes – für die meisten Europäer_inen sehr irrelevantes Ereignis – 22 Studierende feierten ihren Abschluss von einem europäischen Masterstudiengang am Strand von Nizza. Ich war eine dieser Studierenden und mit diesem Tag begann mein europäisches Paradoxon.
Als Teil der Generation Erasmus war ich seit jeher der EU gegenüber positiv gestimmt. Meine Eltern sagten immer, wie glücklich wir uns schätzen konnten, uns frei innerhalb Europas bewegen zu können. Dieser Umstand war mir als Kind nicht in diesem Ausmaß bewusst. Ich hatte weder den Eisernen Vorhang, noch stundenlanges Warten an verschiedensten Grenzen erleben müssen.
Mein europäisches Paradoxon
Als ich dann während meines Studiums ins Ausland ging, begann ich die Vorteile der EU besser zu verstehen. Durch das Erasmus Programm konnte ich ein Semester im EU Ausland studieren. Dabei lernte ich Menschen aus verschiedensten Ländern kennen, die sich in allen möglichen Sprachen unterhielten und sich dabei dennoch alle verstanden. Zusätzlich wurde ich sogar noch von der EU finanziell unterstützt.
Erasmus wurde – neben ökonomischen Überlegungen – auch deswegen ins Leben gerufen, um eine neue Generation an Europäer_innen hervorzubringen, die sich auch tatsächlich als solche identifizierten. Eine europäische Identität sollte damit gefördert und nach und nach jungen Menschen auf ihren weiteren Lebensweg mitgegeben werden.
Auch mein Interesse an Europa wurde geweckt und so entschied ich mich für den EU-Lehrgang des Figlhauses.
Dieser Kurs zeigte mir vor allem die Grundidee der EU auf – ein Friedensprojekt wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen. Ehemals verfeindete europäische Staaten versuchten nun gemeinsam eine prosperierende Zukunft zu schaffen.
Mein nächster Schritt führte mich zum Master in europäischen und internationalen Studien am Centre International de Formation Européenne (CIFE). Obwohl die EU darin zwar auch kritisch beleuchtet wurde, sahen wir Studierenden die EU trotzdem immer als Projekt an, wofür es sich einzustehen lohnt. Als wir dann am 26. Juni unseren Abschluss feierten, war unsere Stimmung gedrückt. Einerseits bat uns dieser Master die Möglichkeit, bald aktiv die EU politisch mitgestalten zu können. Andererseits hatten wir das Gefühl, dass uns nun die Brexitentscheidung erhebliche Steine in den Weg legen würde. Dieses Gefühl hatten auch viele britische junge Menschen, welche größtenteils für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt hatten (73% der 18–24 Jährigen hatten für ‚Remain’ gestimmt).
Die Nachricht an unsere Generation war klar:
wir durften zwar mitbestimmen, aber wir mussten nun auch Verantwortung in diesem äußerst schwierigen politischen Klima übernehmen. Die sommerliche Abschlussfeier am Strand von Nizza stand also in starkem Kontrast zu dem, was die Politik zu der Zeit auf europäischer Bühne darbot. Wir fühlten uns wie im falschen Film.
Mein europäisches Paradoxon begann also am Tag nach dem Brexit Referendum. Als ich dann aber nach Großbritannien zog, um dort Global Migration zu studieren, wurde dieses Paradoxon nur noch vielschichtiger. Dazu mehr in meinem nächsten Blogbeitrag – Mein europäisches Paradoxon ( Teil 2).