Das diesjährige Studienjahr im Figlhaus Wien, der Akademie für Dialog und Evangelisation, wurde traditionellerweise mit der Opening-Feier im Figlhaus Hof eröffnet. Höhepunkt der Feier war die Diskussion mit den Gästen Bischof Hermann Glettler aus Innsbruck und Doraja Eberle, Gründerin der humanitären Hilfsorganisation ‚Bauern helfen Bauern‘ aus Salzburg.
Das Thema des Talks war angelehnt an das 2022 erschienene, gleichnamige Buch des Soziologen Hartmut Rosa. Die vier zentralen Begriffe in seinem Buch sind Anrufbarkeit, Selbstwirksamkeit, Transformation und Unverfügbarkeit.
Doraja Eberle und Hermann Glettler indentifizieren unterschiedliche Herausforderungen unserer beschleunigten und nervösen Gesellschaft. Beide sehen die Kernkompetenz des Glaubens vor allem darin zuzuhören, Menschen ankommen zu lassen, zu entschleunigen, Gutes voneinander zu denken und ganz besonders die Gnade der Vergebung zu leben.
In einer ersten Diagnose unserer Kommunikationskultur und politischen Verfasstheit stellt Doraja Eberle fest, dass sich seit ihrem Ausscheiden aus der Salzburger Landespolitik viel verändert hat.
Als nach wie vor hochpolitische Person trifft sie besonders der Umgang miteinander. Den rauen und verletzenden Ton in der täglichen Interaktion miteinander habe es zu ihrer Zeit nicht gegeben.
Bischof Hermann Glettler kann dies bestätigen und schließt sich dabei Hartmut Rosa an. Die beständige Dynamisierung der Gesellschaft, die Beschleunigung, mit der wir nicht mehr mithalten und die wir nicht mehr aushalten können, versetzt uns in einen permanenten Aggressionszustand.
Was Harmut Rosa in seinem Buch als ‚Anrufbarkeit‘ formuliert, findet Bischof Glettler im Gebet. ‚hörgott‘ – so wird sein neues Buch heißen – erzählt von diesem wechselseitigen Zuhören. „Gott hört zu – Mensch hör, hör auf!“ „Eine Freundin hat dann Kompetenz, wenn ich bei ihr ankommen kann“, beschreibt Hermann Glettler die einfache Anrufbarkeit in Beziehungen. „Es braucht keine großen Weisheiten, (…) wenn man vertrauen kann.“ Dieses Vertrauen schenken wir besonders dann, wenn wir zunächst zuhören.
Doraja Eberle konkretisiert, dass es für andere auch erkennbar sein muss, dass wir als Christ:innen zuhören und nicht vorverurteilen. Sie plädiert dafür, dass man Christ:innen daran erkennen soll, dass sie andere „….von den Knien auf Augenhöhe bringen“. Indem wir schlecht über andere Menschen sprechen, schlecht von Begegnungen erzählen und Gerüchte weiterverbreiten verweigern wir das Zuhören. „Wir trauen jedem alles zu, alles Schlechte zu, und wir verteidigen nicht mehr“, diesen Mangel an Solidarität, an Zivilcourage prangert Doraja Eberle besonders an. „Diese Solidarität, auch in der Politik, auch in der Kirche, auch in der Gesellschaft, das haben wir verloren. Und wenn wir diese Zivilcourage wieder aufnehmen würden, auch mit dem Risiko ‚gebasht‘ zu werden, auch mit dem Risiko vielleicht meinen Job zu verlieren, auch mit dem Risiko in dieser Gesellschaft nicht mehr so integriert zu sein, aber von meinem eigenen Glauben und meiner Herzensbildung her zu leben. Das würde eine große Veränderung bringen. Das braucht die Demokratie.“
Die größte Kraft des Christentums aber ist die Kraft der Vergebung. Darin sind sich Doraja Eberle und Hermann Glettler einig. „Dass man aufstehen kann und sich wieder in die Augen schauen kann. Intensiver verbunden ist als vorher; ent-täuschter, liebevoller, wahrhaftiger, ehrlicher – durch Vergebung.“ Diese Kraft brauchen wir, betont Gletter, weil uns die aggressive und immer schnellere Kommunikation geradezu abwürgt und wir uns nicht mehr wohlfühlen können.
Auf die letzte Frage, ob Demokratie den Glauben braucht, antwortet Doraja Eberle, obwohl sie mit dem Titel ‚Demokratie braucht Religion‘ nicht viel anfangen kann, dass Demokratie besonders eines braucht: „Das Verbindende vor das Trennende zu stellen, das braucht Demokratie. Und auf Grund meines Glaubens habe ich damit ein Rüstzeug für Zivilcourage.“
Bischof Glettler begründet die Kraft des Glaubens für die Demokratie besonders darin: „Um an das Schöne zu glauben, um sich aufrichten zu können, um eine Unterbrechung zu haben, wo man sich selbst entrissen wird und zur Ruhe kommen kann, um zu lernen, dass andere auch tröstungsbedürftig sind und zu lernen, dass uns Menschen viel mehr verbindet, als wir je an politischer Distanz formulieren können.“
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Fotos: Katharina Schiffl