Warum ein heilsames Auf-Hören, ein Stoppen und Auf-Horchen, ein Schlüssel für die Zukunft unserer Gesellschaft sein kann
Das intellektuelle Flaggschiff der deutschen Presselandschaft, die Wochenzeitung ‚Die Zeit‘, widmete erst kürzlich ihr Titelthema der Frage, warum sich heute alle ständig müde und erschöpft fühlen. Nur kurze Rückfragen in meinem unmittelbaren Umfeld bestätigten mir sofort diese Beobachtung. Offensichtlich trifft es eine breite Not unserer Tage. Dabei geht es nicht nur um unseren persönlichen Alltag, das „Zeitalter der Polykrise“ treffe auch auf eine globale „Polymüdigkeit“, so die ‚Zeit‘. Trotz vieler bemühter Analysen renommierter Philosophen und Soziologen gelingt aber auch in dieser Zeit-Ausgabe nicht so recht eine Antwort. Es bleibt am Ende ein etwas holpriger Appell zum „Aufwachen“, angereichert mit ein paar netten Tipps.
Rosas Schlüssel für die Zukunft
Viel überraschender und erfrischender ist mitten in diesem Stimmengewirr der Polyerschöpfung die Antwort des zurzeit viel diskutierten Politikwissenschaftlers Hartmut Rosa mit seiner klaren Einladung zum „Auf-Hören“ – und das im doppelten Sinne: ein Stoppen, also innehalten und dann ein bewusstes Auf-Horchen, neu hinhören. Rosa sieht darin sogar einen Schlüssel für die Zukunft einer maßlos überreizten Gesellschaft und Politik. Es gehe darum, vom Aggressionsmodus hin zum hörenden Herzen zu kommen. Zur Ruhe kommen. Atem holen. Eben auf das Herz hören. Erstaunlicherweise kommt solch Herzhaftes mal gar nicht aus dem Binnenraum einer Religion.
Vom Starmotivator bis zum Künstlerbischof
Vor allem die Demokratie brauche die Bereitschaft, sich wieder anrufen, berühren und verwandeln zu lassen, „dass es da draußen eine andere Wertquelle außer man selbst gibt.“ Die heutige Krise der Demokratie, aber auch des Glaubens, hätten die gemeinsame Wurzel: „eine mentale Schließung“. Andere Meinungen würden nicht mehr aufgenommen werden. Es wachsen so Aggressionsverhältnisse nach außen zur Umwelt hin und nach innen zu sich selbst. Es brauche ein neues wechselseitiges Hören, Lernen und Sich-anrufen-Lassen. Sein Fachbegriff dazu: „Resonanzfähigkeit“.
Aus vielen Gesprächen der letzten Monate beeindruckt mich auf’s Neue, wie sehr genau solch eine „Resonanz“-Bedürftigkeit bei Gläubigen wie bei Nicht- oder Andersgläubigen zum Ausdruck kommt. Gerade in dieser Fastenzeit laden von Österreichs Starmotivator, der ursprünglich aus dem Iran stammende Ali Mahlodji, bis hin zum katholischen Innsbrucker Bischof Hermann Glettler zusammen mit unserer Akademie und vielen anderen zu solchen Resonanzräumen ein: nämlich ganz konkret täglich mindestens 10 Minuten Stille zu suchen. Es lohnt sich, dazu die kurze und einfache Anleitung zum Innehalten (auf der Webseite von stilleschenken.com) genau zu lesen:
Große Herausforderungen können wir nur in kleinen Schritten meistern.
Schenk dir und anderen täglich 10 Minuten stilles Innehalten!
Du beginnst einfach damit nachzudenken, wofür du gerade dankbar bist.
Danach kannst du all denjenigen, die es schwer haben, von Herzen Gutes wünschen.Ob du nun gläubig bist oder nicht, jede und jeder kann mitmachen.
Entweder mit deinen wohlwollenden und positiven Gedanken oder direkt an Gott gerichtet:
mit deinem Dank oder einer Bitte für Menschen, die Hilfe brauchen. Ob so oder so,
in jedem Fall wird es unser Denken und unser Handeln inspirieren und neu beleben.
Es wird uns trotz aller Distanzen ganz neu miteinander verbinden.
Polyerschöpfung und biblischer Hirte
Mit Recht darf hier weiter nachgefragt werden, ob sich denn durch die Stille diese innere wie auch äußere erhoffte Verbindung automatisch oder gar magisch einstellt. Mich bewegen dabei viele Rückmeldungen zu dieser Initiative, die in der Stille einerseits durchaus eine eigene innere Leere fürchten, aber andererseits sich besonders nach einem Gegenüber, nach einem Du, nach einer Stimme sehnen, die sie hören können. Dazu gibt es Gott sei Dank eine unglaublich reiche Erfahrung, die es zu heben gilt. Denn bereits in der Bibel geht Jesus ziemlich direkt auf die Ursache einer derartigen Polyerschöpfung ein, also offensichtlich ein altes oder stetig wiederkehrendes Phänomen: „Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ (Mt 9,36) Ich muss gestehen, dass mich dieser Satz schon seit Kindheit zutiefst berührt. Den Sohn Gottes, an den ich glaube, geht diese – wohl auch unsere – Müdigkeit so zu Herzen, weil er dahinter den Mangel an existenzieller Geborgenheit, Angenommen-Sein, Anerkannt-Sein und Geliebt-Sein konstatiert. Dass damit nicht jedwede Art von Erschöpfung gemeint ist, ist uns wohl klar. Aber wer von uns hungert nicht schlicht danach, über unsere menschlichen Möglichkeiten hinaus ganz und gar geliebt zu werden!? Selbst wenn wir solches nur schwer zugeben, mir ist das jedenfalls mehr als vertraut.
Das Wagnis der Stille
Natürlich bleibt es ein Wagnis, sich auf ein göttliches Du einzulassen. Wie Rosa sagt: die „Quelle außer man selbst“ anzapfen. Ja, dazu bedarf es eines Schrittes. Wie? Dieses Du einfach im Herzen direkt ansprechen. Für all jene, die es mit dem Beten neu probieren wollen, gibt es wirklich reichlich Ermutigung. Zuerst: das Gebet formt sich tatsächlich in der Stille wie von selbst. Auch wenn es ein wenig Übung braucht! Täglich still werden, hören, danken, bitten. Aus aktuellem Anlass kann ich dazu eine tolle Hilfestellung, die von Bischof Glettler zusammengestellte Gratis-App „hörgott“ mit Gebeten für Fragende, Zweifelnde und Überzeugte sehr ans Herz legen. Außerdem finden sich Testimonials mit Erfahrungen und regelmäßige Newsletter auf der Website www.stilleschenken.com
Gorbatschow und ein bisschen Mut
Ein bisschen Mut braucht es, um in der Stille Energie zu tanken. Dieses neue „Auf-Hören“ gilt nicht nur für diese Fastenzeit. Es kann aber gerade jetzt ein neuer Anfang sein. Und das kann Konsequenzen für das ganze Weltgeschehen bedeuten. Selbst der letzte Sowjet-Chef Gorbatschow bekannte noch Jahre vor seinem Tod, dass das Problem des Menschen nicht nur das der totalitären Ideologien sei und „es ist nicht nur das von Gewalt und Krieg. Das Problem des Menschen besteht im Menschen selbst, und die Lösung dazu kann man nur im Herzen des Menschen finden.“