Spirituelle Herzensenergie – auch für Europa!


von Otto Neubauer am

In nervöser Zeit auf das verwundete Herz Gottes schauen. 

Ich möchte diesen Text von Bischof Hermann Glettler mit euch teilen, der mir zutiefst aus dem Herzen spricht:


Bei allem, was uns in nervöser Zeit aktuell belastet und bedrängt, ist es heilsam, von Neuem auf das menschliche Herz zu hören. Und das nicht als Flucht in eine falsch verstandene Innerlichkeit, sondern als geistvolle Weltzuwendung. Die Anleitung dazu kommt von einem außergewöhnlichen Herz-Jubiläum, das wir heuer begehen.

Vor genau 350 Jahren gaben sogenannte „Visionen“ den entscheidenden Impuls für die weltweit verbreitete Herz-Jesu-Spiritualität. Es waren die Jesus-Erscheinungen, die der Ordensfrau Margareta Maria Alacoque im Kloster der Heimsuchung in Paray Le Monial im französischen Burgund geschenkt wurden. Worum geht´s? Mit Sicherheit nicht nur um eine sehr gewöhnungsbedürftige Frömmigkeit. Es geht „um den Weg einer kirchlichen Erneuerung im Dienst an einer Welt, die ihr Herz verloren zu haben scheint“, so Papst Franziskus. Und es geht um ein Herz für Europa.

  1. Eine zärtlich-radikale Liebe – überfließende Herzensenergie

Es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Die erste Vision am 27. Dezember 1673 war eine Liebeserklärung Jesu – an Margareta Maria Alacoque und an die Welt: „Ich kann die Flammen meiner Liebe nicht länger in meinem Herzen behalten. Ich muss sie mit deiner Hilfe der Welt mitteilen.“ In diesem Wort meldet sich der maßlos Liebende – Gott selbst, der Mensch wurde, um mit einem „menschlichen Herzen“ die Welt zu lieben. Er kann nicht anders als sich zu verschenken. Gott ist in seinem Wesen Liebe – nicht ein Egomane, der zürnt und beleidigt seine verheerenden Abrechnungen macht. In den biblischen Berichten ist ein Wort Jesu überliefert, dass in ähnlicher Weise seine liebestrunkene Ungeduld ausdrückt: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“ (Lk 12,49) Margareta Maria Alacoque ließ sich entflammen. Sie „sah“, dass ihr Herz von Jesus genommen und wie ein kleines Atom in den Feuerofen seines Herzens eingetaucht wurde.

Aber kehren wir nochmals zum vertrauten Bild zurück. Das brennende Herz als zärtliches und zugleich starkes Gottes-Bild! Es fasziniert, so wie Mose vom brennenden Dornbusch angezogen war. Eines der ersten Opfer des Genozids in Rwanda, Cyprien Rugamba, „sah“ das Unheil auf sein Land zukommen. Der sozial engagierte Literat, der eines der ersten Häuser für Waisenkinder aufgebaut hat, sagte sinngemäß: „Wir müssen uns vom Hl. Geist entflammen lassen. Ohne ihn sind wir wie gelähmt und anfällig für das Böse.“ Das Herz-Feuer Gottes ist sein Hl. Geist, der alles verwandeln kann. Bei der zweiten großen Erscheinung im Jahr 1674 hatte Margareta Maria Alacoque ein ähnlich hochenergetisches Bild: Jesu „fünf Wunden leuchteten wie Sonnen.“ Gottes überfließende Herzensenergie! Sie kann alles verwandeln – jeden von uns und auch eine Gesellschaft, in der die Härte zunimmt.

  1. Die Klage Jesu über die Gleichgültigkeit – die Ohnmacht Jesu teilen?

Reicht diese positive Vision? Die Visionen von Margareta Maria Alacoque haben durchgängig noch eine andere Seite. Jesus beklagt sich mit großer Trauer in fast allen Begegnungen: „Auf meine Liebe erhalte ich nur Gleichgültigkeit.“ Jesus bittet die Ordensschwester um „Liebe für die Liebe“, um Trost und Wiedergutmachung. Nochmals Jesus im O-Ton: „Sie (die Menschen) haben nur Kälte und Zurückweisung für alles, was ich ihnen Gutes tun möchte.“ Verstehen wir Gottes Ohnmacht? Sein Geist, seine Liebe, sein Friede – nicht angenommen? Im Klartext unserer Zeit: Unzählige Appelle und Bemühungen umsonst. Der Wahnsinn geht weiter. Milliarden um Milliarden für Rüstung und Krieg. Und die Bomben fallen – auf Schulen, Spitäler und Siedlungen. Der Hass scheint uneingeschränkt zu regieren. Ja, Ohnmacht tut weh, verbittert und nährt den Boden für gefährliche Reaktionen. Auch im kleinen Lebensumfeld sehr viel Unversöhntheit, Wut oder verletzende Gleichgültigkeit.

Aber bleibt es bei dieser Ohnmacht? Ja und Nein. Wenn wir an unsere Grenzen stoßen und erleben, dass wir keine raschen Lösungen anbieten können, öffnet sich vielleicht ein Raum größerer Nachdenklichkeit, Verletzlichkeit, Empathie – und Menschlichkeit. Wir sind nicht die souveränen Macher einer tollen Welt. Letztlich aber ist es doch ein konkretes Engagement, das den Unterschied macht – ein Dienst am Nächsten und damit ein Tat-sächliches Festhalten am Glauben, das die Liebe stärker ist. All das zeigt das Bild vom verwundeten Herz Gottes. Nur die Liebe, die sich selbst verschenkt und Vergebung anbietet, kann mit ihrer positiven Radikalität der Dynamik des Bösen etwas entgegenhalten. Und es gilt: Jedes menschliche Herz ist gefragt – und kann seine persönliche Antwort darauf geben.

  1. Herzhaft engagierter Glaube – ein Energieschub für Europa?

Die Verehrung des Herzens Jesu führt uns in die Tiefe des Geheimnisses Gottes und macht uns menschlicher, gütiger, sanftmütiger, rücksichtsvoller, zärtlicher, fröhlicher, selbstbewusster und aufrichtiger. In wichtigen Fragen unserer Gesellschaft auch entschlossener und konsequenter. Gott schüttet seine „Herzensenergie“ großzügig aus. Profitieren wir davon. Auch für die Zukunft eines gemeinsamen Europas brauchen wir große Kontingente von dieser Herzensenergie. Dem Konglomerat aus Krisen können wir ja nur gemeinsam – mit Achtsamkeit, Innovationskraft und Gottvertrauen begegnen. Nationale Egoismen oder Gleichgültigkeit dürfen nicht die Oberhand gewinnen. Für das Gelingen eines gemeinsamen Projektes – ob Nachbarschaft im Kleinen oder auf europäischer Ebene – braucht es ein inneres Commitment aller Beteiligten. Auch dafür steht das menschliche Herz. Im Herzen fallen nicht nur die wesentlichen Entscheidungen, sondern wird auch das Zueinander von Eigeninteressen und die Verantwortung für ein größeres Wir in eine gerechte Balance gebracht. Nicht alles lässt sich mit gesetzlichen Vorgaben regeln. Das, wofür Europas Herz schlägt, ist jedenfalls nicht obsolet.

Die notwendige Herzensenergie für Europa möchte ich mit folgenden Namen benennen:
Vertrauen und Zukunftsmut: Vorsicht vor dem schleichenden Gift der Resignation. Allen Hetzern, die die Sorgen und Verunsicherungen der Menschen für ihre eigenen Interessen „bewirtschaften“, muss entschieden widersprochen werden. Die Vision eines geeinten Kontinents, der das hohe Gut des Friedens verteidigt, dürfen wir nicht aufgeben!
Wertschätzung der religiösen Wurzeln des Kontinents, inklusive der europäischen Aufklärung. Auf diesem Fundament basieren die Menschenrechte. Die „Seele Europas“ muss genährt werden. Europa ist doch mehr als nur ein Markt, den es wettbewerbsfähig zu erhalten gilt.
Sorge um vulnerable Personen und Gruppen: Menschen mit Beeinträchtigungen, Pflegebedürftige und Menschen in den Care-Berufen sowie eine Anwaltschaft für Ungeborene. Alle bioethischen Fragen brauchen eine transparente Meinungsbildung und weniger Ideologie.
Entschlossenheit für eine effektive Klimapolitik: Eine zukunftsorientierte Verkehrs- und Energiepolitik ist trotz vieler Rückschläge unaufschiebbar. Jedes Lavieren in dieser Frage hat verheerende Folgen. Die Umsetzung des Green Deals ist eine Überlebensfrage.
Solidarität mit den Gefährdeten: Ein menschlicher Umgang mit Asylsuchenden sowie eine möglichst gerechte Verteilung der Lasten von Aufnahme und Integration! Europa darf in der Frage des Umgangs mit Migranten nicht seine Werte verraten.

Nochmals zusammengefasst: Das durchbohrte Herz des Gekreuzigten ist die paradoxe Quelle von neuem Leben. Auch die Quelle für neue Inspiration und Zusammenarbeit in einem großen Gemeinschaftsprojekt. Wichtig ist, dass wir den Herzschlag Jesu wahrnehmen, seine Herzensenergie aufnehmen und uns selbst zur Verfügung stellen – Herz-Jesu-Verehrung beansprucht den ganzen Menschen und ist ein Dienst an einer Welt, die sich gerade aufgrund der vielen Verwundungen nach heilender Liebe sehnt.

(Auszug aus der Predigt zum Herz-Jesu-Fest 2024 von Bischof Hermann Glettler)

 

Otto Neubauer

Leiter der Akademie für Dialog und Evangelisation
Pädagoge & Theologe, Buchautor

otto.neubauer@akademie-wien.at

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