ORF-Moderatorin Claudia Reiterer und Bischof Hermann Glettler sprachen am 29. Nov. im Wiener Figlhaus über Glettlers neues Buch und die gesellschaftspolitischen Herausforderungen, vor denen wir stehen.
„Hassmails vergiften derzeit die Herzen“ sagten Claudia Reiterer und Bischof Hermann Glettler. Sie diagnostizierten eine tiefgreifende Unsicherheit in der Gesellschaft. Der vergangene Dienstagabend im Figlhaus war ein von Offenheit geprägter. Denn die beiden Talkgäste sprachen ohne Filter über die Probleme unserer Zeit, und wie wir als Gesellschaft wieder näher zusammenwachsen können.
Ob der „großen Empörung dieser Zeit“ sei dies immer schwieriger geworden, so Reiterer. Vor allem auf Twitter seien Menschen – auch sie – immer wieder einer „digitalen Hexenverbrennung“ ausgesetzt. „Es wird nur noch reagiert“, sagt sie, doch das aufrichtige Diskutieren und das Verstehen des anderen, das würde fehlen. Auch die Politik würde darunter leiden, „denn kluge Entscheidungen kosten Zeit und diese Zeit wird uns immer weniger gegeben“. Die Folge: Immer weniger Menschen würden sich mit Politik beschäftigen wollen – auch wenn alles im Leben, vom Supermarkteinkauf bis zum Einschalten des Heizkörpers mit Politik verbunden ist.
Glettler benennt diese Unsicherheit als ein Phänomen der nervösen Zeit. „Wir durchschauen die Komplexität vieler Entwicklungen nicht mehr und wünschen uns deswegen jemand, der mit starker Hand durchgreift.“ Gleichzeitig würden viele Politiker suggerieren, klare Lösungen für alle Probleme zu haben. „Die Politik tritt immer öfter messianisch und kurzsichtig auf“, sagt Glettler. Er verstehe das, denn mit Ehrlichkeit sei es schwer, alle glücklich zu stimmen.
Was also tun? Claudia Reiterer pocht auf „die Kunst des Zuhörens“. Denn „die Menschen halten es nicht aus, zuzuhören“. Es gehe aber nicht darum, den anderen zu überzeugen, sondern ihn zu verstehen. Nur so könne man zu Lösungen kommen. „Entscheidend ist dabei immer die Begegnung“, ergänzt Bischof Hermann Glettler, „und zwar ohne zu verurteilen.“ Gerade das Beispiel Jesu zeige, dass richtig verstandene Barmherzigkeit den Raum schaffe, der es erlaube Fehler zuzugeben. Es brauche eine neue Fehlerkultur, in der wir unsere Schwächen und Wunden zeigen dürfen.
Claudia Reiterer versammelt jeden Sonntagabend im ORF eine erlesene Runde zu den brisanten politischen Themen, die ganz Österreich bewegen. Ihr Dialogpartner Hermann Glettler, der Innsbrucker Bischof, erregt mit seinen originellen Aktionen und mitreißenden Predigten immer mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Beide gingen im Figlhaus den aktuellen herausfordernden gesellschaftspolitischen Fragen noch tiefer auf den Grund. Das kürzlich veröffentlichte Buch von Hermann Glettler „Dein Herz ist gefragt!“ gab der Veranstaltung ihren Titel. Moderiert hat der Akademie-Leiter Otto Neubauer.
Weitere Infos zu Bischof Glettler
Bereits seit zwei Jahrzenten lädt das Wiener Figlhaus (Kath. Akademie für Dialog & Evangelisation) Menschen unterschiedlichster Weltanschauungen in legendäre Wiener Cafés, große Kulturstätten bis hin zur Universität, um „Über Gott & die Welt” in einen Dialog zu kommen. Die Liste der Persönlichkeiten könnte diverser nicht sein: Romano Prodi, Alexander Van der Bellen, Irmgard Griss, Robert Menasse, Barbara Stöckl, Christoph Kardinal Schönborn, Gery Keszler, Josef Hader, Michael Landau, Klaus M. Brandauer, Maria Happel, Michael Haneke, ehemalige Bundeskanzler, Schauspieler:innen und Journalist:innen u.v.m. Die weltanschaulich bunten Vorbereitungsteams der Akademie möchten nicht weniger als einen freien und wertschätzenden Dialog von Gesellschaft und Religion anregen und fördern.
Fotos: Mahringer