Nachnationale Ordnung statt Nationalismus: Schriftsteller Menasse plädiert vor Studierenden für Vielfalt der Kulturen statt Vielfalt der Nationen in Europa.


von Clara Neubauer am

Im Rahmen des EU-Lehrgangs der Akademie für Dialog und Evangelisation und dem CIFE (Centre international de formation européenne) sprach Schriftsteller und Essayist Robert Menasse im Figlhaus am 18.03.2025 vor 100 Gästen, die meisten junge Studierende, über die Feinde Europas. Menasse, der durch politische Romane wie „Die Hauptstadt“ als EU-(Be-)Kenner bekannt wurde, plädierte für mehr Zusammenhalt und Solidarität – gerade in Zeiten, in denen aus rechtspopulistischen aber immer häufiger auch zentristischen Kreisen nationalistische Botschaften postuliert werden.

Nationalismus als Keimzelle von Krieg und Auseinandersetzung

Gewohnt pointiert brachte Menasse den Nationalismus als Wurzel schwelender Konflikte zur Sprache, in dessen Namen im 20.Jahrhundert unsagbare Menschheitsverbrechen begangen worden seien. „Der Prozess, der zur heutigen Europäischen Union geführt hat, war von Anfang an als ein nachnationaler Prozess gedacht, als ein Prozess der Überwindung des Nationalismus“, so Menasse. Nur so könne die EU, die als Friedensprojekt gestartet war, auch als Speerspitze eines internationalen Miteinanders weiterbestehen. Das Klein-Klein der Einzelstaaten und mit ihnen die „systematische Selbstdarstellung“ der eigenen Heldentaten in Brüssel durch Politiker:innen vor heimischen Kameras helfe nicht, das europäische Projekt vorwärts zu bringen. Ebenso wenig tue es dem europäischen Gedanken gut, dass Nationalpolitiker:innen gewählt werden, die zwar im Ministerrat der EU landen, in ihren Wahlprogrammen in den Heimatstaaten die EU oder ihre Vision davon jedoch mit keinem Wort erwähnen. Menasse sieht Bildung und Aufklärung als wichtige Eckpfeiler auf dem Weg in eine Zukunft, sofern Demokratie noch eine Rolle spielen soll.

Keine Nationen und europäischer Pass

Das Gespräch zwischen dem Schriftsteller und den Zuhörer:innen entwickelte sich zur lebhaften Debatte, als der Fall der „fiktiven Nationen“ zugunsten eines gesamteuropäischen Fiskal- und Rechtssystems diskutiert wurde. Der Geburtsort in einem europäischen Reisepass solle als Indikator der Provenienz reichen, so Menasse. Nationen hätten ausgedient und ein übers andere Mal bewiesen, dass sie nicht für das Projekt Frieden taugten. Nicht alle Studierenden waren mit ihm einer Meinung.

„Das war schon ein intensiver Austausch, es ging richtig zur Sache“, so Michael Frey, Geschäftsführer der Akademie für Dialog und Evangelisation. „Aber dafür gibt es das Figlhaus und unsere Lehrgänge – sie ermöglichen den direkten Austausch mit Expert:innen und Vordenker:innen, Politiker:innen, Medienmacher:innen und Künstler:innen. An ihnen können Studierende erworbenes Wissen und Thesen austesten.“

Die Intensität des Austauschs spricht laut CIFE-Programmdirektorin Helgard Fröhlich für das rege Interesse, das Studierende für die EU und die Diskussion rund um ihre Weiterentwicklung an den Tag legen. Das Thema des Abends, ob Nationen in einer Gemeinschaft wie der EU weiterhin Bestand haben sollen, sieht sie, wie viele ihrer Studierenden, differenzierter als Menasse: „Ich würde stärker zwischen Nationen und Nationalismus unterscheiden. Aber es ist wichtig, dass es weiterhin Räume gibt, um sich über diese Unterschiede und das Funktionieren des Mehrebenensystems (Region-Nation-Europa) Gedanken zu machen und Gespräche zu führen“, so Fröhlich.

 

Das Figlhaus: Beheimatet die Akademie für Dialog und Evangelisation und regt als solche einen neuen und freien Dialog zwischen Religion und Gesellschaft an. In Kooperation mit Partner:innen ausgewiesener Fachkompetenz finden im Figlhaus Fachkurse und Dialogwerkstätten zu den Themen „Europa & Politik“, „Mission & Dialog“ sowie „Medien & Kultur“ statt.

Robert Menasse: Der Schriftsteller und Essayist wurde 1954 in Wien geboren. Besonders prägend ist Menasses Einsatz für ein vereintes Europa jenseits nationalstaatlicher Grenzen. Für seinen Roman Die Hauptstadt (2017) wurde er mit dem Deutschen Buchpreis sowie für seinen Roman Die Erweiterung (2022) mit dem Europäischen Buchpreis ausgezeichnet.

Der EU-Lehrgang des CIFE (Centre international de formation européenne) ermöglicht Weiterbildung für Studierende und junge Berufstätige, die sich gemeinsam mit Expert:innen und EU-Kenner:innen kritisch mit der Europäischen Union und ihren Funktionsweisen auseinandersetzen wollen.

Nächster Lehrgangsstart: 4. November 2025 – 23. Juni 2026
Dauer: 2 Semester

 

von Susi Mayer

    Clara Neubauer

    Social Media Managerin

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