Der Konflikt rund um die Region Palästina, entpuppt sich als Dauerkrisen-Thema seit 1948. Die Auseinandersetzung im Gazastreifen spitzte sich in den letzten Jahren erneut zu. Ein beständiger Frieden zwischen Palästinensern und Israelis ist nicht in Sicht. Oder vielleicht doch?
Immer wieder berichten Medien über erneute Raketenangriffe, Spannungen in palästinensischen Autonomiegebieten und Messerstechereien zwischen Palästinensern und Israelis. Als Außenstehende, die hauptsächlich lokale Medien konsumieren, haben wir eine klare Vorstellung vor Augen: zwei verfeindete Völker, deren Streitigkeiten und Auseinandersetzung tief in den Gesellschaftsstrukturen verankert sind.
Mit diesem Bild im Kopf, trat ich meine Reise nach Israel an. Umso überraschter war ich, als ich zunehmend erkannte, dass keine meiner Stereotypen und Erwartungshaltungen der Wahrheit entsprachen.
Tel Aviv – ein Ort der Paradoxe
Es ist Mittwoch spät abends. Neben mir im Flugzeug nach Tel Aviv sitzt ein Rabbiner, der sich durch seine Schläfenlocken und dem schwarzen Gewand schnell zu erkennen gibt. Ich kam mit ihm ins Gespräch. Er erzählte mir vom Ablauf des Pessach Festes, das an diesem Freitag stattfinden soll. Als ich ihm meine Vorstellung von Israel schilderte, lachte er und meinte, dass Tel Aviv, Jerusalem und die Autonomiegebiete ganz unterschiedliche Welten wären.
„Tel Aviv ist eine so weltoffene Stadt. Du wirst dort weniger ultra-orthodoxe Juden sehen als im 2. Bezirk in Wien“.
Und er hatte Recht. Tel Aviv ist mit dem Rest von Israel kaum zu vergleichen. Die meisten jungen Menschen, die dort leben, haben den Konflikt satt und möchten in Frieden mit den verschiedenen Religionsangehörigen auskommen. Nur wenige geben sich gegenüber den immer wieder stattfindenden Luftangriffen besorgt. Ob das ein Ausblenden der Realität oder doch nur ein Schutzmechanismus ist, um unter diesen Umständen ein ganz normales Leben führen zu können, ist schwer zu sagen. Trotzdem scheint es, als wäre das Judentum die vorherrschende Religion. An Sabbat, im Judentum der 7. Wochentag, an dem keine Arbeit verrichtet werden darf, steht die Stadt still: Nur wenige Menschen sind auf den Straßen unterwegs, bis auf einzelne Touristenlokale hat alles geschlossen und auch die öffentlichen Verkehrsmittel setzen den ganzen Tag aus. Das 2018 verabschiedete Verkaufsverbotgesetz am jüdischen Ruhetag Sabbat, wird offensichtlich strikt eingehalten. Wären der Islam, das Christentum und das Judentum tatsächlich gleichgestellt, würde hier doch nicht alles nach jüdischen Regeln laufen, oder?
Shalom Jerusalem
Sobald man sich einige Kilometer aus der Metropole hinausbewegt, erscheint wieder ein ganz anderes Bild. Willkommen in Jerusalem. Der heiligen Stadt der vielen antiken Kulturen. Die Stadt ist in vier Viertel eingeteilt. Jedes zeichnet sich durch die jeweiligen Charakteristika aus. Im jüdischen Viertel bin ich keinem einzigen Araber begegnet, dafür aber unzähligen ultra-orthodoxen Familien, die mit ihren mindestens fünf Kindern unterwegs waren. Ich fragte mich, warum viele dieser Familien so viele Kinder haben und ließ mich von unserem
Tourguide aufklären. Sie erklärte mir, dass viele Rabbiner das traditionelle konservative Familienbild anstreben. Aus Angst, es könnte zu wenig fromme jüdische Gläubige geben, setzen sie auf ihren Nachwuchs. Auch in der jüdischen Bibel, der Thora, wird fürs Kinderkriegen plädiert: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde“.
Dies lässt eine Kluft zwischen den weltoffenen, progressiven Juden und den ultraorthodoxen, die weder eine liberale Demokratie, noch den Zionismus vertreten, entstehen.
Unmut gegen Ultraorthodoxe
Viele Strengreligiöse werfen der jungen jüdischen Generation Verachtung vor und verurteilen ihre Ausübung der jüdischen Religion.
Umgekehrt sehen sich viele liberale Juden von den Ultraorthodoxen, die teilweise vom Staat Israel lebenslang von ihrer Arbeit freigestellt werden, um zu philosophieren und sich weiterzubilden, als ungerecht behandelt. Sie können deren Vorzugsstellung nicht nachvollziehen.
Ein Konflikt herrscht also nicht nur zwischen Palästinensern und Israelis, sondern auch zwischen den Ultra-orthodoxen und der modernen jüdischen Generation.
Wie geht es weiter?
Das fragen sich viele. Fast jede Person konnte mir einen Namen von einem Freund, einem Bekannten oder einem Familienangehörigen nennen, der sein Leben im Zuge dieses generationenübergreifenden Konfliktes verloren hatte. Als Außenstehende, die bis dato kaum direkten Kontakt mit Betroffenen hatte, erkenne ich immer mehr die Komplexität dieses Konfliktes. Ich glaube kaum, dass jemand in der Position ist, Partei zu ergreifen, der nicht unmittelbar von den Ereignissen betroffen ist oder war – dazu ist zu viel passiert.
Das Land versucht immer wieder Normalität herzustellen und einem Alltag nachzugehen. Die Menschen stehen in der früh auf, gehen ihrer Arbeit nach, machen Sport und treffen abends ihre Freunde. Manche würden dies für ironisch empfinden, zumal wenige Kilometer weiter südlich Krieg herrscht. Für viele ist dies aber die einzige Möglichkeit, trotz der anhaltenden Spannungen, ein ganz normales Leben zu führen. Es liegt nun an den Regierungen, Ministern und Interessenvertretungen, endlich eine Lösung zu finden.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Medien-Lehrgangs 2019 als journalistische Praxis-Arbeit. Thema und Inhalt dieses Beitrags wurden durch die Autorin selbstständig gewählt und recherchiert.