Die Almsaison 2019 steht vor der Tür: Zwischen Mitte Mai und Mitte Juni werden im Großteil Österreichs die Kühe auf die Almen getrieben. Aber nicht nur die Tiere genießen die Weiden hoch oben in den Bergen, die Almen ziehen auch immer mehr Besucher an. Mit dem Boom des Wandertourismus stellt sich die Frage, wie das Miteinander von Tier und Mensch auch weiterhin funktionieren kann. Ein Lokalaugenschein auf der Hacklbergalm im Land Salzburg und Expertenmeinungen geben Aufschluss.
Saftig-grüne Wiesen, ein weitreichender Ausblick auf die umliegende Berglandschaft und in der Ferne der beruhigende Klang von Kuhglocken: Auf der Hacklbergalm im beliebten Salzburger Tourismusort Hinterglemm ist die Welt noch in Ordnung – möchte man meinen.
Denn auch hier macht man sich jetzt, kurz vor dem Beginn der Almsaison 2019, viele Gedanken über die Sicherheit der Wanderer. Zu Unfällen zwischen Mensch und Tier sei es auf der Hacklbergalm noch nie gekommen, sagt ihr Eigentümer Frank Buchner: „Vielleicht weil durch die doch beträchtliche Frequenz an Gästen ein allgemeiner Gewöhnungseffekt eintritt und die Tiere einen ‘Treibhund’ gewöhnt sind“. Dennoch nehme man das Thema sehr ernst. Immerhin ist im Tiroler Stubaital im Jahr 2014 eine Frau auf einem Wanderweg von einer Kuhherde überrannt und getötet worden. Der Fall zog im vergangenen Winter große mediale Aufmerksamkeit auf sich, vor allem weil der beschuldigte Landwirt, der zugleich Betreiber der Alm sowie Besitzer der Kuhherde ist, zu einer hohen Schadenersatz-Summe verurteilt wurde.
Seitdem spalten sich die Gemüter, denn die landwirtschaftliche Nutzung der Almen und der Wandertourismus gehen in Österreich seit Jahrzehnten einher. Über die Verantwortung von Grundbesitzern und Landwirten gegenüber den Besuchern einer Alm ist man sich nicht einig. Auch über die Eigenverantwortung von Wanderern wird diskutiert. Für die anstehende Wandersaison stellt sich daher die Frage, ob die touristische oder die landwirtschaftliche Nutzung der Almen in der Thematik Vorrang hat.
Tourismus VS. traditionelle Almwirtschaft
Laut Bernd Tritscher, Leiter der Bergrettung Pinzgau, würde auch in Zukunft die Kombination funktionieren, man müsse aber nachhaltiger wirtschaften. „Die Almwirtschaft braucht den Tourismus als wichtige Einnahmequelle und zum Erhalt der Alm- und Kulturlandschaft. Aber noch viel mehr braucht der Tourismus die Almen, zur Sicherung der Naturlandschaft“, sagt Tritscher.
Auch Frank Buchner setzt sich sowohl für den Tourismus als auch für die traditionelle Almwirtschaft ein. Die Hacklbergalm nutzt er einerseits als Sommerresidenz für seine rund 35 Milchkühe und 25 Jungtiere, andererseits bietet er auch Besuchern der Alm die Möglichkeit, sich an der hauseigenen Jausenstation zu stärken – ein wichtiges, finanzielles Standbein für den Niedernsiller Landwirt. Seine Alm ist stets gut besucht und das Klientel recht durchmischt, vom Profi-Mountainbiker bis hin zu Familien mit Kleinkindern. Geöffnet ist die Alm von Juni bis Ende September, in dieser Zeit befinden sich auch die Milchkühe vor Ort. Sie kommen aber nur zum Melken zur Hütte. Den restlichen Tag und die Nacht verbringen sie auf der Weide, unter anderem auch in unmittelbarer Nähe der Wander- und Radwege. Und genau hier kann es zu brenzligen Situationen kommen, wenn sich die Besucher der Alm falsch verhalten.
Das nötige Know-how darf beim Wandern auf der Alm nicht fehlen
Vor allem bei der örtlichen Bergrettung sieht man die Entwicklung des Wandertourismus in den letzten Jahren kritisch: In Fremdenverkehrsportalen werde stets betont, wie cool Bergurlaub in all seinen Facetten sei. Dass es auch viel Vorbereitung dafür bedarf stehe nirgends. „Bergsport ist in den letzten Jahren zu einem Trendsport geworden und wird auch medial immer mehr beworben. Auf der einen Seite ist es gut, wenn immer mehr Leute in unsere Region kommen, aber man bemerkt auch ganz stark das viele schlichtweg unvorbereitet sind“, sagt Tritscher. Der zuständige Tourismusverband sieht das ähnlich: „Die Nutzer müssen durch Aufklärung verstehen, dass die Alm ein Natur-und Wirtschaftsraum ist, wo es einen Eigentümer gibt und dass da Regeln einzuhalten sind“, sagt der Projektleiter des Salzburger Almsommers, Franz Pölzleitner (GF Gästeservice Tennengau).
Auf dem Weg zur Hacklbergalm wird daher auf diversen Infotafeln ausdrücklich vor der Kuhherde und dem Mitführen von Hunden gewarnt. Die meisten Unfälle passieren nämlich dann, wenn sich ein Hund der Kuhherde nähert. Die Mutterkühe sehen in dem Hund eine Bedrohung für ihre Jungen und versuchen deshalb den Angreifer zu verjagen. Wenn der Hund an der Leine geführt wird, geht auch der Besitzer ein großes Risiko ein. Landwirt Buchner erklärt: „Wenn nun die Person versucht den Hund zu schützen, gerät sie automatisch in den Fokus der Tiere. Dabei wäre es so einfach einen Bogen um die Herde zu machen, oder wenn sich die Tiere schon nähern wenigstens den Hund von der Leine zu lassen, um selbst aus dem Gefahrenbereich zu kommen.“
Ziel ist es, das Bewusstsein und die Eigenverantwortung von Wanderern zu stärken
Trotz der Warnungen fehlt das Bewusstsein bei so manchem Gast, dass man auf privatem Gelände auch ein Stück weit eigenverantwortlich handelt. Was früher selbstverständlich war, werde heute teilweise ignoriert, hört man Einheimische oft sagen. Auch der Schauspieler und leidenschaftliche Landwirt Tobias Moretti sieht das Problem bei den Gästen selbst: ein gesunder Hausverstand sowie der Respekt vor der Natur sei vielen Besuchern abhanden gekommen. Um den Leuten zu zeigen, wie man sich idealerweise auf einer Alm verhält, veröffentlichte er in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaftskammer Tirol folgendes Erklär-Video für den richtigen Umgang mit Kühen:
Die Zukunft der Almen
Neben der Bewusstseinsbildung der Gäste ist es wichtig den Landwirten ihre Unsicherheit zu nehmen. Der Obmann der Bezirksbauernkammer Zell am See, Nikolaus Vitzthum, fordert die Politik zum Handeln auf. Jetzt, kurz vor dem Start der Almsaison 2019 sei es besonders wichtig, das Problem anzusprechen und noch vor dem Sommer die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Landwirte zu schaffen, um weitere Fälle wie die „Kuh-Attacke vom Stubaital“ zu vermeiden. Den kürzlich von der Bundesregierung veröffentlichten „Aktionsplan für sichere Almen“ sieht er sehr positiv: „Ein Verhaltenskodex für alle Nutzer unserer Almregion ist zu begrüßen und muss verbreitet werden.“ Kritisch zu sehen sei jedoch das Überbewerten von Versicherungen; es sollte nicht zu einer Stärkung der „Vollkasko-Mentalität“ kommen.
Generell wäre eine Rückbesinnung auf die grundlegenden Werte sehr wichtig und man solle das Thema nicht zu sehr emotionalisieren – da sind sich die Experten einig. Auch auf der Hacklbergalm möchte man das Thema ernst nehmen, sich aber nicht zu sehr hinein steigern. „Wir werden diesen Sommer keine zusätzlichen Maßnahmen setzen, jedoch noch stärker als bisher versuchen im Gespräch mit unseren Gästen einen gewissen Respekt zur Natur zu wecken. Das hilft oft mehr als lauter Verbote“, sagt Buchner.
10 Verhaltensregeln für den richtigen Umgang mit Weidevieh
(nach dem „Aktionsplan für sichere Almen“, Quelle: www.sichere-almen.at)
- Kontakt zum Weidevieh vermeiden, Tiere nicht füttern, sicheren Abstand halten!
- Ruhig verhalten, Weidevieh nicht erschrecken!
- Mutterkühe beschützen ihre Kälber, Begegnung von Mutterkühen und Hunden vermeiden!
- Hunde immer unter Kontrolle halten und an der kurzen Leine führen. Ist ein Angriff durch ein Weidetier abzusehen: Sofort ableinen!
- Wanderwege auf Almen und Weiden nicht verlassen!
- Wenn Weidevieh den Weg versperrt, mit möglichst großem Abstand umgehen!
- Bei Herannahen von Weidevieh: Ruhig bleiben, nicht den Rücken zukehren, den Tieren ausweichen!
- Schon bei ersten Anzeichen von Unruhe der Tiere Weidefläche zügig verlassen!
- Zäune sind zu beachten! Falls es ein Tor gibt, dieses nutzen, danach wieder gut schließen und Weide zügig queren!
- Begegnen Sie den hier arbeitenden Menschen, der Natur und den Tieren mit Respekt!
Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter www.sichere-almen.at
Hintergrund:
Das „Kuh-Urteil“ vom Stubaital
Nachdem im Sommer 2014 eine deutsche Urlauberin auf einer Stubaier Alm von einer Kuhherde zu Tode getrampelt wurde, wurde im Februar 2019 ein Landwirt, der der Besitzer der Kühe und Betreiber der Alm war, schuldig gesprochen. Infolge wurde er zur Zahlung von 132.832,63 Euro sowie einer monatlichen Rente von 1212,50 Euro an den Ehemann der Verstorbenen, sowie einmalig 47.500 Euro und einer monatlichen Rente von 352,50 Euro an den Sohn verurteilt. Die damals 45-jährige Touristin aus Deutschland war mit ihrem Hund auf einem stark frequentierten öffentlichen Wanderweg unterwegs, als sie beim Passieren einer Mutterkuhherde von den Tieren attackiert wurde. Die Frau hatte ihren Hund angeleint. Die Leine war um ihre Hüfte fixiert, was vom Gericht als “sorglos” beurteilt wurde. (Quelle: www.derstandard.at)
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Medien-Lehrgangs 2019 als journalistische Praxis-Arbeit. Thema und Inhalt dieses Beitrags wurden durch die Autorin selbstständig gewählt und recherchiert.