1. Erstaunliche Nachrichten aus Ibiza.
Ein Vizekanzler eines EU Mitgliedstaates bietet einer (vermeintlichen) ausländischen Milliardärin die auflagenstärkste Zeitung des Landes quasi als Morgengabe an. Und zwar in der erklärten Absicht diese dann „zack, zack, zack“ gleichzuschalten. Er verspricht für den Fall, dass die Dame ins Baugeschäft einsteige, die manipulative Zuweisung großer öffentlicher Bauaufträge. Er sinniert darüber, wie man die politischen Mitbewerber über getürkte Medienkampanien zu Fall bringen könnte und behauptet, verschiedenste Großindustrielle würden die Partei bereits über einen Strohmannverein finanzieren.
Das ist kein Kapitel aus einem pittoresken Politthriller oder einer US-Serie, sondern die Zusammenfassung dessen was sich 2017 in einer Villa auf der Insel Ibiza abspielte und von Spiegel und Süddeutscher Zeitung ans Tageslicht gebracht wurde.
2. Dennoch: Eine Warnung vor Hochmut und FPÖ-Verteufelung
Die betroffene Partei mit großer Geste zurück in die Schmuddelecke zu stellen und sich über sie und ihre Wählerschaft – die mittlerweile in die Mitte unserer Gesellschaft reicht – ‘triumphorisch‘ zu erhöhen ist der falsche Weg. Es mache lieber Jeder und Jede in der politischen Landschaft unseres kleinen Landes ein kleines Gedankenexperiment: welches ist jener Abend oder jenes Gespräch dessen Veröffentlichung ohne mein Wissen und gegen mein Wollen die größten Wellen schlagen würden und mir die tiefste Schamesröte ins Gesicht treiben würde? Betretenes Schweigen? Eben. Hochmut, Hohn und Häme sind nicht die richtigen Rezepte um Ibizagate zu bewältigen.
3. Die Reaktion? Unzureichend auf beiden Seiten.
Der Vizekanzler und sein Adlatus sind zurückgetreten. Allerdings nicht ohne zu versuchen die ganze Sache als „politischen Anschlag“ (etwa fremder Geheimdienste) darzustellen und damit die Aufmerksamkeit weg von der eigenen Verantwortung zu lenken. Der Kanzler ruft Neuwahlen aus. Allerdings nicht ohne den unerwarteten Blitzschlag für die parteipolitische Wahlkampfplatzierung seiner selbst zu verwenden. Er beschreibt die Regierungszeit mit der Partei des Vizekanzlers als eine Zeit des „Runterschluckens“. Die BürgerInnen haben somit 2 selbst ernannte Opfer vor sich: einen Vizekanzler der böswillig in eine Journalistenfalle gelockt wurde und sich dort in “lockerer, ungezwungener und feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre” um Kopf und Kragen parlierte. Und einen Kanzler der von der oft zitierten quantitativ und qualitativ dünnen Personaldecke seines Regierungspartners nichts zu wissen schien und sich durch die 18 Monate der ÖVP/FPÖ Koalition gezwungen hat um nun endlich „genug ist genug“ rufen zu können.
4. Aber: Österreich kann es besser!
Die Reaktionen von (vormaligen) Vizekanzler und Kanzler sowie jene der anderen Parteien mögen strategisch verständlich sein. Aber sie stehen für alte Politik, altes politisches Denken. Es ist jene Politik, die die Vertrauenswerte in öffentliche Institutionen in den letzten Jahren in den Keller gefahren haben. Das Vertrauen in öffentliche Institutionen ist aber das Allerwichtigste wenn wir den Staat als unser Aller Gemeingut begreifen. Die Republik ist sich dessen durchaus bewusst. Immerhin hat sich Österreich als EU-Vorsitzland sehr darum bemüht, die Steigerung des Vertrauens in öffentliche Institutionen auf die EU Agenda zu setzen. In einem vorbereitenden Papier für den jährlichen Rechtsstaatsdialog im Rat der EU stellte der österreichische Vorsitz fest, dass das derzeitige geringe Vertrauen der Öffentlichkeit Anlass zu großer Sorge sei. Es stelle „sich die Frage, warum viele überaus wichtige Institutionen so wenig Vertrauen genießen und welche Folgen dieser Vertrauensverlust für eine funktionierende Demokratie und somit für die Rechtstaatlichkeit haben kann“.
5. Was wäre zu tun? Mindestens Dreierlei.
Um den Schmerz der geschlagenen Wunde in einen gesamtgesellschaftlichen Heilungsprozess zu wenden, könnte und sollte Dreierlei veranlasst werden:
Einführung eines Politführerscheins: es ist eine Bereicherung, wenn die politische Klasse nicht nur aus Juristen und Beamten besteht, sondern die gesamtgesellschaftliche berufliche Palette abdeckt. Zahntechniker inklusive. Andererseits aber muss garantiert werden, dass Jede und Jeder die/der ein öffentliches Amt annimmt, ein Grundwissen über juristische Grenzen der politischen Arbeit hat und darüber informiert ist, wozu die Gewaltentrennung dient und was die Würde eines öffentlichen Amtes jenseits der juristischen Grenzen von den AmtsinhaberInnen verlangt. Diese Mindestqualifikationen sollten in einem verpflichtenden Kurs vermittelt werden – ein Politführerschein der harte juristische Fragen (wo liegen die Grenzen der Parteifinanzierung?) als auch soft skills (kann die Hochzeit eines Ministers gänzlich privater Natur sein?) zum Gegenstand hat.
Massiver Ausbau und Erneuerung der Staatsbürgerschaftskunde: die beste Garantie für gesetzestreu handelnde PolitikerInnen ist – neben einer bissigen Presse und einer unabhängigen Justiz – eine Bevölkerung die politisches Handeln kompetent beurteilen kann. Dafür müsste aber der politische Bildungsgrad in der Bevölkerung massiv angehoben werden. Das geht nur über eine sehr drastische Anhebung von Geld- und Personalmitteln im Bildungswesen und zwar von der Volksschule bis zur Volkshochschule.
Komplettreform von Transparenz und Kontrolle im Politbetrieb: man sollte nicht der Versuchung unterliegen das ‘Sittenbild von Ibiza‘ als Problem der FPÖ vom Tisch zu wischen. Besser als auf das nächste Video von einem anderen Ufer zu warten, ist es jetzt massive Schritte zu setzen um das Grundrecht auf eine gute Verwaltung umzusetzen, neue Kontrollmechanismen zu schaffen und eine neue Transparenzkultur auszurufen inklusive einer Reform des Parteispendenwesens.
6. Kurzum, eine Warnung: kein Weiterwurschteln
Es wäre sehr schade, wenn die Schockwellen von Ibizagate im parteipolitischen Klein-Klein eines Wahlkampfes verpuffen, statt dazu beizutragen, aus der Republik Österreich ein besseres Land zu machen. Vielleicht eine Utopie. Aber es gibt die Möglichkeit, dass alle Parteien nun innehalten, strategisches Kalkül beiseitelegen und gemeinsam das große Ganze angehen. Sie müssten nicht bei null anfangen, sondern könnten auf die „Prinzipien eines neuen Dialoges“ zurückgreifen. Diese im Figlhaus über die Parteigrenzen hinweg ausverhandelten Prinzipien stammen wie das Ibiza-Video aus dem Jahre 2017. Sie hätten Letzteres aber verhindern können wenn sie bereits integraler Teil der österreichischen Politkultur wären.
7. Ein gemeinsamer Neuanfang nur naiv?
Freilich mag ein Schulterschluss angesichts der Abgründe von Ibiza naiv erscheinen. Aber es geht jetzt um das Eingemachte. Nämlich um die Bewahrung des erschreckend geschrumpften Vertrauens das der Staat bei der Bevölkerung genießt. Bei aller pittoresken Absurdität von Ibizagate – Österreich ist mit diesem Problem wahrlich nicht alleine in Europa! Das sollte Anlass sein für einen Sprung nach vorne. Die neue Regierung Österreichs könnte im Herbst 2019 bereits ein Demokratie- und Rechtsstaatspaket vorlegen und sich an die Spitze der in der EU seit Jahren virulenten Rechtsstaatsdebatte setzen. Zum Wohle Österreichs, als auch Europas. Das wären doch schöne Nachrichten aus Wien. Allemal bessere als jene aus Ibiza.