Montag Morgen, 07.30 Uhr. Nur noch wenige Treppen liegen zwischen mir und den ersten frühlingshaften Sonnenstrahlen, die mein Gesicht wärmend berühren. Ich verlasse den U-Bahn Hof, sehe keine Wolke am Horizont, nur das saftige Grün der Bäume und fröhlich zwitschernde Vögel. Nur noch wenige Schritte liegen jetzt zwischen mir und meinem Arbeitsplatz. Während ich gehe, ergreift mich plötzlich der Gedanke, wie schön es wäre, diesen heutigen Tag im Freien zu verbringen. Ohne Arbeit, ohne Stress, ohne jegliche Aufgabe. Wie gut es wäre, diesen heutigen Tag und vielleicht sogar die folgenden in Freiheit zu genießen. Selbst zu gestalten, zu tun und zu lassen, was immer mir in den Sinn kommt. Wer kennt diese Gedanken nicht?
Was es heißt, arbeitslos zu sein
In meiner Tätigkeit als Sozialarbeiterin treffe ich täglich auf Menschen, die genau diese Gedanken ihre Realität nennen. Doch schon vom ersten Tag in dieser Beratungsstelle zeigte sich mir ein ganz anderes Bild meiner schön erträumten Tagesstruktur: Menschen, die genau dieses Sein zur Verzweiflung bringt und diese Freiheit nicht als solche erleben. Die Wochen, Monate und manchmal sogar Jahre in dieser Art von Leben verharren müssen, weil man in ihnen kein „Leistungspotential“ mehr sieht. Junge, Alte, Frauen, Männer, Hilfsarbeiter- und AkademikerInnnen: Sie alle tragen den Stempel „Langzeitarbeitslos“ auf ihrem Rücken. Bevor ich im täglichen Kontakt mit diesen Menschen stand, war ich ebenso nicht vor den Klischee behafteten Bildern befreit, die von Arbeitslosen in Österreich medial gezeichnet werden. Sätzen wie „ Wenn man wirklich arbeiten will, findet man auch etwas“ habe ich vor meiner beruflichen Tätigkeit durchaus zugestimmt. Heute weiß ich, dass derartige Statements nicht der Wahrheit entsprechen und guter Wille allein nicht genügt.
Weil guter Wille alleine nicht reicht: Arbeitslosigkeit ist eine komplexe Herausforderung
Was es heißt, arbeitslos zu sein, lässt sich nicht in einem Satz beschreiben. Arbeitslosigkeit bringt oft multiple Problemlagen wie Schulden, den Verlust der Wohnung und/oder des sozialen Netzwerkes mit sich. Arbeitslosigkeit bedeutet Instabiltät, auf einer materiellen, aber auch psychosozialen Ebene. Diese Lebenslage stellt eine so komplexe Herausforderung für Betroffene dar, dass diese oft alleine nicht bewältigbar ist. Ich treffe diese Menschen in einer Phase ihres Lebens, vor der sie sich immer gefürchtet haben und deren Realität sie oft nicht anerkennen wollen. Sie wehren sich mit Händen und Füßen gegen den Platz, den man ihnen durch den Verlust der Arbeit nun gesellschaftlich gewährt: Einen Platz in der letzten Reihe, am absteigenden Ast, auf dem Abstellgleis.
Ich bin weil wir sind
Dieser Platz am Rande der Gesellschaft stellt für die Betroffenen eine massive zusätzliche Belastung dar. Neben den Schwierigkeiten, mit wenigen Ressourcen über die Runden zu kommen, gehen Gefühle der Scham und Hilflosigkeit einher. Wenn man täglich in Zeitungen Negatives über sich und seine Lebenslage liest, als Zahl und nicht mehr als Mensch definiert wird, sich generalisiert als „Systemschmarotzer“ wiederfindet: Wie soll man sich in so einem Rahmen motivieren, nach Vorne zu sehen und sich wieder für diese Gesellschaft zu engagieren?„ Ich bin weil wir sind“ trifft für diese Menschen nicht mehr zu. Sie erfahren weniger Respekt, Exklusion und Benachteiligungen und drehen sich so noch mehr in der negativen Spirale nach unten. Von Außen schenkt man ihnen kein Gehör, ihre Präsenz und ihre individuellen Lebenslagen, die sie in diese Situation gebracht haben, werden nicht hinterfragt. Sie sind oft nur Teil einer Statistik, sie sind nicht mehr als „Human Capital“ in einer Welt, die sich zunehmend über Profit und Geld definiert und Menschlichkeit außen vor lässt.
Meine Botschaft : Arbeitlos ≠ Würdelos
Wenn ich in meinem privaten Umfeld von meiner beruflichen Tätigkeit erzähle, zeigen sich sehr schnell bestehende gesellschaftliche Klischees über Arbeitslose in Österreich. Gehe ich jedoch ins Detail und zeige anonymisiert die Lebensgeschichten und Lebensumstände meiner KundInnen auf, sehe ich immer große Betroffenheit und Reflexionsbereitschaft bei meinen ZuhörerInnen. Genau dieser Umstand motiviert mich, mit meiner Botschaft an die Öffentlichkeit zu gehen und in einen Diskurs über den Umgang mit Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft zu treten.
Arbeitlosigkeit darf nicht mit dem Verlust der Menschenwürde einhergehen
Der Kern meiner Botschaft liegt für mich darin, aufzuzeigen, dass Arbeitslosigkeit nicht mit dem Umstand des Verlusts von menschlicher Würde einhergehen darf. Es ist mir ein Anliegen, zu zeigen, dass hinter „Zahlen Menschen stecken“, die unter diesen Lebensumständen leiden und die für eine Chance, wieder am Arbeitsmarkt und vor allem in der Gesellschaft Fuß zu fassen, bereit sind, hart zu arbeiten.
Vom Rand zurück in die Mitte der Gesellschaft
Mein Ziel ist, mit meiner Botschaft bestehende gesellschaftliche Klischees aufzubrechen und zum Nachdenken über diese anzuregen. Menschen darf aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit nicht mit weniger Respekt oder Exklusion begegnet werden, dies führt nicht im Geringsten zu einer Verbesserung ihrer Situation. Arbeitslose müssen vom Rand wieder in die Mitte der Gesellschaft geholt werden, nur dann haben sie die Motivation, sich auch wieder für diese zu engagieren und eine Arbeitsleistung zu erbringen. Sie sind Menschen, die zudem auch die Möglichkeit haben sollten, erlebte Ungerechtigkeiten öffentlich zu thematisieren. In meinen weiteren Beiträgen sollen sie selbst zu Wort kommen können und durch meine Stimme auch eine Vertretung nach Außen finden.
„Ich fühle mich wieder gebraucht und gewollt“
Erst gestern führte ich ein Gespräch mit einem meiner Kunden, der in der glücklichen Lage ist, ab Mai wieder in einem gesicherten Arbeitsverhältnis zu stehen. Wir sprachen sehr lange über den zukünftigen Job, den neuen beruflichen Alltag, die neuen Aufgaben. Gegen Ende gab er dann Folgendes von sich:
„Ich muss ehrlich sein, persönlich habe ich für mich keine Möglichkeit mehr gesehen, eine Chance auf diesem Arbeitsmarkt zu bekommen. Schließlich habe ich schon ein gewisses Alter, Sie wissen ja, was die Wirtschaft dazu sagt. Jetzt, wo ich weiß, dass ich bald wieder arbeiten werde gibt mir das so einen Auftrieb, ich fühle mich wieder gebraucht und gewollt“.
So sehr mich der Umstand seines baldigen Arbeitsplatzes freut, trägt seine Aussage doch einen bitteren Beigeschmack und führt mich wieder zur Wichtigkeit meiner Botschaft. Mit ihr plädiere ich für eine Gesellschaft, die sich wieder mehr an den Werten der Menschlichkeit und der menschlichen Würde orientiert, anstatt Menschen aufgrund ihres wirtschaftlichen Leistungspotentials Bedeutung und Wert zuzuerkennen.