Mein europäisches Paradoxon (Teil 3)


von Stefanie Buzmaniuk am

oder: London is open – aber wie lange noch?

London. Die größte und wahrscheinlich sogar einzig wahre Metropole Europas.

London. Ein Zentrum für Diversität, Offenheit und Mehrsprachigkeit.

London. Hauptstadt jenes Mitgliedstaates, der sich für den Austritt aus der EU entschieden hat.

 

Der dritte Teil meines europäischen Paradoxons ist der für mich wohl am schwersten begreifbare. Mit „London is open“ bewirbt der Londoner Bürgermeister, Sadiq Khan, die Hauptstadt. Und offen fühlt sich London auch für mich an: Ich lebe seit einem Jahr und zehn Monaten hier und werde bereits als Londonerin angesehen. London verspricht mir und vielen anderen EU-BürgerInnen, dass wir hier so sein können, wie wir wollen, und dass wir damit ein weiteres Puzzleteil dieser faszinierenden Großstadt werden. Wir dürfen anders sein – ja, es ist hier sogar erwünscht. Gerade dadurch werden wir dieser einzigartigen Londoner Community zugehörig.

 

Open Schild

 

Doch jetzt spüren wir, dass uns dieses Zugehörigkeitsgefühl in London wieder genommen werden soll. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU wird sich auch London verändern. Viele Fragen kommen auf – und mit ihnen auch Unsicherheit. Was wird aus der Diversität werden? Wie offen wird London noch sein? Wie viele Sprachen werden noch auf Londons Straßen gesprochen werden? Unbehagen macht sich auch deswegen breit, weil die LondonerInnen selbst nicht für den Brexit gestimmt haben.

 

London – die Hauptstadt einer internationalen Gemeinschaft

Beim Brexit Referendum hat sich London von den meisten anderen Teilen Großbritanniens unterschieden. Die Hauptstadt stimmte zu knapp 60% für den Verbleib in der Union. Auch in vielerlei anderer Hinsicht unterscheidet sich London vom Rest des Königreichs: London hat den größten Anteil an nicht-britischen BewohnerInnen; LondonerInnen sind tendenziell besser ausgebildet und jünger; und in London wohnen mehr nicht-englisch MuttersprachlerInnen als überall sonst in GB.

Diversity in London

 

London wirkt damit eher wie die Hauptstadt einer jungen internationalen Gemeinschaft – nicht so sehr wie die Hauptstadt Großbritanniens. Diese internationale Gemeinschaft ist eine wichtige Säule der Londoner Wirtschaft. Da sich mehr und mehr EU-BürgerInnen gegen den Verbleib in Großbritannien entscheiden, beginnt diese Säule jedoch zu bröckeln. Es bleibt noch offen, welchen wirtschaftlichen Einfluss der Brexit in dieser Hinsicht auf die Metropole haben wird.

 

Diskutieren – wegschauen – resignieren?

Die Spannung ist in London derzeit deutlich spürbar. Brexit ist Thema Nummer eins bei vielen unserer Gespräche. Andererseits haben viele genug vom Brexit gehört. Manchmal nehme ich in London eine gewisse Resignation wahr. „Es kann eh nichts mehr gemacht werden“, höre ich oft. „Lasst uns also einfach so weitermachen wie bisher. Lasst uns unsere Andersartigkeit weiter feiern. Lasst uns so tun, als könnten wir in zehn Jahren immer noch dieses internationale Flair auf Londons Straßen spüren“. Diese Resignation führt dazu, dass soziale und wirtschaftliche Entscheidungen nicht getroffen werden, obwohl sie unmittelbar bevorstehen.

 

Ein neuer Weg für London

Vielleicht aber wird sich London nach dem Brexit wieder neu erfinden können. Die Kreativität, die Innovationskraft und das unglaubliche Potenzial an so vielen verschiedenen Menschen könnte London nach dem Austritt aus der EU dazu verhelfen, einzigartig zu bleiben. Klar ist auf jeden Fall, dass London Antworten auf die historische und paradoxe Entscheidung des Brexits finden muss.

Quo Vadis Schild

 

    Stefanie Buzmaniuk

    Sprachen | Politik | Migration
    Zurzeit in London, davor in Nizza, Berlin, Paris und Wien

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